Angst oder gesunder Respekt

„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ (1.Petrus 5,7)

Es ist Krieg und man möchte am liebsten schreien. Was ist da gerade los in unserer Welt. Erst gab es eine Pandemie mit einem Virus, welches uns bis heute in Angst und Sorge hält. In den ersten Monaten der Pandemie sagte mal eine Wissenschaftlerin, wir werden lernen zu tanzen mit dem Virus, mal nähern wir uns und dann braucht es wieder einen Abstand. Mir hat das Bild einen Teil meiner Angst genommen. Denn es sagt mir, dass ich mich nicht lähmen lassen muss, sondern mich mit dem Virus weiter bewegen kann und soll.

Es ist gut, dass wir bei steigenden Inzidenzen eine gesunde Angst entwickeln. Die Angst, welche uns nicht leichtsinnig werden lässt, sondern mit gesunden Respekt einen Umgang mit dem Virus finden lässt. Das ist bei jedem etwas anders. Einige gehen zum Beispiel in den Gottesdienst, andere bleiben zu Hause, um sich sicher zu fühlen. Das darf so sein. Wenn wir dagegen eine kranke Angst haben, dann würden wir fordern, dass alle Veranstaltungen abgesagt werden und zwar für alle. Oder genau ins Gegenteil fallen, um die Angst zu überspringen und proklamieren dann, dass das Virus den Christen doch keine Angst machen dürfe. Beide Verhaltensweisen wären ungesund, würden die Realität verleugnen und die kranke Angst wachsen lassen.

Es gibt seit der Pandemie mehr Angst in unserem Leben, mehr Anspannung, mehr Gereiztheit. Und dann kommt die Nachricht: Es ist Krieg in Europa. Eine neue Angst. Bei den älteren Menschen holt es Erinnerungen und Ängste hoch an den zweiten Weltkrieg. Die Nachkriegsgeneration war mit Aufbau beschäftigt und dort ist jetzt die Angst, alles zu verlieren. Die folgenden Generationen haben zwar von Kriegen gehört, aber er war doch immer weit weg und nun steht er vor der Tür. In 19 Stunden mit dem Auto wäre man in Kiew, wo gerade alles zerstört wird. Und die Unberechenbarkeit von Putin mit all seiner Macht steht immer wieder im Raum. Viele erinnern auch die Bilder der Atombombe über Hiroshima. Und viele andere Dinge, die mit dem Krieg zusammen hängen, lösen Fragen aus und machen Angst. Z.B., werden wir im nächsten Winter frieren, werden die Arbeitslosenzahlen steigen und damit die Unzufriedenheit und die Aggression wachsen, werden wir genug Mehl haben. Ein Haufen an Sorgen könnte uns den ganzen Tag beschäftigen. Das aber macht krank.

Nun ist Angst nicht einfach Angst, sondern sie setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Da gibt es zunächst die Gedanken der Angst: Ich beschäftige mich nur mit dem Krieg und dessen Folgen, ich lasse meine Gedanken nicht mehr zur Ruhe kommen, sehe nicht mehr, was um mich herum noch friedlich ist. Angst zu reduzieren, könnte heißen, ich schaue nicht den ganzen Tag Nachrichten, sondern nur einmal oder max. zweimal am Tag. Oder ich halte Ausschau nach friedlichen Bildern in der Natur oder nehme die Freundlichkeit bewusst wahr, die mir auch jeden Tag begegnet. Ich kann auch meine Gedanken sortieren, z. B., indem ich meinen Gedanken ein dickes Stoppschild entgegenhalte (es braucht etwas Übung, aber man kann Gedanken stoppen). Gute Gedanken dagegen könnten ein Gebet sein. Ein von mir selbst oder von anderen formuliertes Gebet kann ich sprechen und nachsprechen bis es in mir wieder ruhig wird.

Neben den angstvollen Gedanken löst Angst auch eine körperliche Reaktion aus. Wenn wir Angst haben, dann ziehen wir die Schultern hoch, dann spannen wir zeitweise den ganzen Körper an. Das Herz rast immer mal wieder und wir fühlen uns schwindlig und atmen nicht mehr richtig durch. Ich kann meinen Körper aber auch vermitteln, dass er aus der Angst raustreten darf, in dem ich meine Schultern wieder runter sacken lasse, ich meinen Körper entspanne und vor allen Dingen wieder bis in den Bauch hinein atme. Damit sage ich dem Körper, dass es nicht nur Angst gibt.

Die dritte Komponente sind unsere Handlungen, die aus der Angst hervorgehen. Da gibt es unser Vermeidungsverhalten. Wir wollen unseren Kopf in den Sand stecken. Aber wir können und sollten die Angst nicht vermeiden, sondern in Massen hinschauen. Es ist eine Realität, dass Krieg in der Ukraine ist, welche wir akzeptieren müssen. Wenn wir Angst haben, drehen wir uns nur noch um uns selbst, was die Angst nur festhält. Es tut gut für andere da zu sein, ob durch Spenden oder Flüchtlinge unterstützen, oder irgendeine andere Tat, die Liebe ausdrückt, denn die Liebe ist die größte Macht. Suche Menschen, mit denen die Hoffnung festgehalten werden kann, und nicht nur immer das Schlimme betont wird. Wir dürfen den Blick von der Angst auch weglenken auf Schönes.

Angst ist am Ende ein Gefühl, aber ich bin nicht das Gefühl, sondern ich habe ein Gefühl. Angst kommt und sie geht wieder. Das ist das Wichtigste, was ich über Angst wissen muss. Wenn ich das begreife, dann kann ich mich auch der Angst stellen und sie zu Respekt werden lassen, welcher mich befähigt, mich gut durch mein Leben zu bewegen.
Die Realität ist, dass wir uns in einer bedrohlichen Situation befinden, aber wir dürfen uns mit unserer Angst an Gott wenden. Wie wir erleben, verändert er die Situation im Außen bisher nicht, aber sein Frieden ist immer für mich da. Vielleicht sollten wir unsere Sorgen auf Papierblätter schreiben und sie unters Kreuz legen oder ans Kreuz heften, damit sie bei Jesus sind und wir wieder seine Liebe zu uns und unsere Liebesfähigkeit generell in den Blick bekommen können. Darin verwurzeln wir uns in der Liebe, die nicht die Angst beseitigt, aber sie überwindet.

Dr. Heike Neumann
(Psychologin und Psychotherapeutin)